Nach den Kursstürzen sehen bekannte Geldstrategen eine Chance für günstige Aktienkäufe. Einige Experten bleiben jedoch vorsichtig. Bert Flossbach, Luca Pesarini und Uwe Rathausky im Interview.

Es ist alles anders. Das Coronavirus bringt auch die Fondsmanager ins Homeoffice. Sie müssen jetzt in der eigenen Wohnung das Geld ihrer Anleger mehren – was momentan vor allem heißt: im Börsencrash mit einem nie da gewesenen Tempo der Kurs-Talfahrten die Verluste begrenzen. In einer Handelsblatt-Umfrage beschreiben bekannte Geldkapitäne mit vielen Milliarden Euro Kundenkapital, wie sie auf die Krise reagieren. Diese Fondsmanager sind bekannt für ihre Mischfonds, in denen sie mit Anleihen und Aktien attraktive Erträge erzielen wollen. Insgesamt stecken laut Scope Analysis in mehr als 1700 Produkten weit über 500 Milliarden Euro. Das Kapital ist geschrumpft, denn vom Top im Februar sackte der Welt-Aktienindex bis Mitte März um 27 Prozent, der Dax verlor sogar 35 Prozent. Das konnten auch die Mischfondsmanager nicht komplett abfedern. Die bekannteren Produkte verloren zwischen knapp acht und mehr als 24 Prozent. In ihren Ausblicken könnten die Strategen kaum unterschiedlicher sein. Von relativ optimistisch bis düster reicht die Spannbreite. Damit spiegeln die Experten die extreme Unsicherheit an den Märkten wider.

So erwartet der bekannte Fondsmanager Bert Flossbach eine tiefe, scharfe Rezession, kauft aber bereits wieder Aktien. „Mein Plan ist: Aktienquote langsam erhöhen mit Qualitätstiteln, Absicherungen allmählich auflösen, Cashanteil senken“, sagt der Mitgründer des Vermögensverwalters Flossbach von Storch, der den populären Fonds „Multiple Opportunities“ steuert. Luca Pesarini liefert das Kontrastprogramm. Der Co-Initiator des Vermögensverwalters Ethenea Independent Investors und Manager des Fonds „Ethna-Aktiv“ ist überzeugt: „In einem Jahr ist die europäische Wirtschaft kaputt; der Dax fällt auf 5000 Punkte, der Euro Stoxx 50 auf 1000 Zähler.“ Optimist Flossbach gilt vielen Anlegern als kompetenter Mann für Märkte. Er konnte mit guten Entscheidungen während der vergangenen Jahre recht hohe Erträge einspielen und damit viele Milliarden an frischem Geld einsammeln. Die neue Lage in der Pandemie trifft ihn in seinem Job nicht unvorbereitet: „Ich habe mich zu Hause schon vor zwei Jahren so eingerichtet wie im Büro, mit acht Bloomberg-Bildschirmen.“ Beim Stichwort Hamsterkäufe winkt er ab. „Wir haben Vorräte wie immer, denn selbst in einer Extremlage werden die Supermärkte offen bleiben“, sagt der verheiratete Vater zweier Kinder. Weniger entspannt ist der Kölner bei der wirtschaftlichen Lagebeurteilung. „Ich verstehe die rigiden politischen Maßnahmen zur Viruseindämmung“, meint er. Er sagt allerdings auch: „Das ist sehr delikat, weil das fein abgewogen werden muss mit den Schäden durch die Bekämpfung des Virus.“ Flossbach hält es für wahrscheinlich, dass sich die Gesundheitssituation im April beruhigt und im Mai wieder mehr Normalität einkehrt. Doch wenn sich die Wirtschaft nicht im dritten Quartal erhole, „dann wäre es wie in der Finanzkrise mit einem Wachstumsverlust von mehreren Prozent“. Das berge Gefahrenpotenzial: Trotz der extrem scharfen Börsenkorrektur seien die Aktienkurse in den USA immer noch so hoch wie Anfang vergangenen Jahres. Den bisherigen Fondsverlust seit dem Top im Februar von 15 Prozent nimmt er relativ gelassen: „Für eine aktienorientierte Strategie ist das kein Beinbruch, in der Finanzkrise waren wir sogar bei minus 20 Prozent.“ Am Rosenmontag habe er begonnen, die Aktienpositionen gegen Verluste abzusichern. Es war der erste Tag, an dem die Börsen deutlich auf die Corona-Nachrichten zu reagieren begannen. Momentan steckten rund zwei Drittel der Gelder in Aktien, davon sei die Hälfte abgesichert. Rund ein Fünftel des Kapitals entfalle auf Cash inklusive kleiner Anleihebestände. Flossbach hat mit den Käufen schon wieder begonnen. „Das sind defensive Aktien wie Reckitt Benckiser, Nestlé oder Roche, die völlig übertrieben im Kurs gefallen sind“, sagt er. Er vertraut auf das, was er das „Immunsystem der Unternehmen“ nennt: auf stabile Geschäftsmodelle, stabile Erträge und stabile Bilanzen. Damit könnten die Firmen auch Krisen überstehen. Nicht haben wolle er dagegen Titel, die weniger robuste Geschäftsmodelle bei gleichzeitig hoher Verschuldung aufweisen und damit in jeder Krise Probleme bekommen würden. Während Flossbach an eine wirtschaftliche Erholung glaubt, ist Manager Pesarini die gute Laune längst vergangen. „Ich bin konsterniert, wie die Politik auf das Coronavirus reagiert, die Maßnahmen sind vollkommen übertrieben“, sagt er. Er verweist auf den praktischen Stillstand der Wirtschaft: „Geschäfte werden komplett zusammenbrechen, jedes fünfte Unternehmen könnte bankrottgehen. Das ist ganz schlimm.“ Geld verteilen an die Menschen mit dem Zauberbegriff Helikoptergeld helfe da auch nicht, wenn die Geschäfte geschlossen seien. Sein letzter Satz im Gespräch: „Am Ende könnten wir dadurch mehr Suizidtote haben als Coronatote.“ Mit diesem Weltbild ist es kein Wunder, dass der „Ethna-Aktiv“ völlig anders bestückt ist als der Flossbach-Fonds. Hatte Pesarini vor der Krise noch fast ein Drittel des Geldes in Aktien investiert, sind es jetzt lediglich vier Prozent. „Wir machen gar nichts, ich habe auch keine Veranlassung, um Aktien zu kaufen“, sagt er. Hier vertraut er auf Titel wie Shop Apotheke Europe, auf die Zahlungsdienstleister Paypal und Visa. Die gefielen ihm dank wenig anfälliger Geschäftsmodelle. Das Gros der Gelder stecke in gut bewerteten Unternehmensanleihen mit wenigen Jahren Laufzeit.

Als Geheimtipp unter den Fondsmanagern gilt Uwe Rathausky, Co-Manager des „Acatis Gané Value Event Fonds“. Damit erzielte er stabile Erträge in den vergangenen Jahren. Rathausky will die Krisenlage weder schön- noch schlechtreden. Wie das Coronathema ausgehe und welche Folgen es haben werde, könne man noch nicht sagen. Doch bei allem Durcheinander will er einen klaren Kopf behalten. Der Stratege erinnert sich: „Wir sind in der Finanzkrise gefragt worden, ob wir in Zigaretten, Konserven und Gold investieren.“ Ähnlichen Fragen könne er auch heute nichts abgewinnen. „Wir investieren auch nicht in Toilettenpapier“, ergänzt er. Rathausky konzentriert sich vielmehr ganz auf die Aktienauswahl. Er hält nur 33 Positionen im Fonds, davon 22 Aktien. Diese geringe Anzahl ist in der Branche sehr ungewöhnlich. Der Fonds litt in der Krise seit Februar mehr als andere und verlor 24 Prozent. „Der dramatische Börsenabsturz überraschte uns, gemessen daran war die Aktienquote zu hoch“, sagt Rathausky. Zwei Drittel der Gelder sind hier investiert. „Wir haben aber schon wieder gekauft, denn in der Mitte der Nacht beginnt der neue Tag“, sagt der Gané-Mann mit Anspielung auf die düstere Stimmung an den Märkten. Er sucht seine Chance und gleichzeitig Krisenabsicherung ähnlich wie Flossbach bei stabilen und ertragsstarken Firmen. An der Börse seien viele Unternehmen zu sehr abgestraft worden. „Deshalb haben wir Münchener Rück nachgekauft und Allianz neu hineingenommen, die Kurse sind völlig übertrieben gefallen“, sagt er. Bei der Allianz etwa spekulierten Shortseller darauf, dass der Versicherer seine Hauptversammlung im Mai nicht zeitnah abhalten könne. „Aber die Allianz hat Kriege überstanden und wird auch Corona überstehen“, ist Rathausky überzeugt. Von den Corona-Effekten werden seiner Meinung nach auch einige Firmen profitieren. Dabei gehe es weniger darum, wer jetzt Schutzmasken herstelle, die gefragt seien. „Es geht eher um Firmen, die von verstärkter Heimarbeit und dadurch noch verstärkter Digitalisierung profitieren“, sagt er. Rathausky nennt Namen wie Amazon, Microsoft und Apple. Auch SAP und Bayer habe er zu den tieferen Kursen gekauft. Insgesamt fühlt er sich gut positioniert. Das Umfeld sei extrem günstig: „Die Welt wird auf Dauer mit expansiverer Geldpolitik und Fiskalpolitik leben – und die Zinsen werden tief oder negativ bleiben.“ […] «Link»

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