Der Strom ist versiegt. Russland hat die Lieferung von Gas über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Europa am 31. August 2022 eingestellt. Zunächst wurden die Liefermengen auf 40 Prozent der möglichen Transportkapazität, dann auf 20 Prozent und nun auf 0 Prozent zurückgesetzt. Der russische Energiekonzern Gazprom, Mehrheitsgesellschafter und Betreiber der Pipeline, führt technische Gründe an, um den Lieferstopp im Wirtschaftskrieg gegen den Westen zu rechtfertigen. Der deutsche Wirtschaftsminister geht davon aus, dass die Pipeline nicht wieder geöffnet wird. Die russische Seite fordert, die „illegalen Sanktionen“ gegen das Land aufzuheben und Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen. Eine Lösung inmitten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist nicht in Sicht.
Insbesondere für Industrieunternehmen in Deutschland würde ein anhaltender Lieferstopp eine enorme Belastung darstellen. Daher steht für viele Kapitalmarktteilnehmer die Frage im Raum: Droht Deutschland ein Gas-Versorgungsengpass?
55 Prozent des in Deutschland verbrauchten Gases kamen im Jahr 2021 aus Russland. Laut Eurostat benötigt die Europäische Union als größter Binnenmarkt der Welt gemeinsam mit Großbritannien bis zu 500 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. In den vergangenen drei Jahren wurden laut der Investmentbank Goldman Sachs rund 35 Prozent dieses Jahresverbrauchs durch russische Importe abgedeckt. Der deutsche Jahresbedarf von 90 Milliarden Kubikmetern Gas weist im europäischen Vergleich folglich eine überdurchschnittliche Abhängigkeit von Russland auf. Im Falle eines dauerhaften Lieferstopps werden die deutschen Gasspeicher, so die Prognose, nur eine kurzfristige Überbrückungshilfe bieten können. Zwar wurde das Ziel eines Füllstands von 85 Prozent schon vor dem angepeilten 1. Oktober 2022 erreicht, trotzdem decken die vorhandenen Speicher nur etwa 25 Prozent des bisherigen Jahresbedarfs in Deutschland ab. Händeringend sucht die deutsche Bundesregierung daher nach alternativen Quellen. Importe von verlässlichen Partnern wie Norwegen sollen ausgeweitet, die Nutzung von Kohlekraftwerken verlängert und gleichzeitig die Gas-Nachfrage von Wirtschaft und Haushalten kontinuierlich gedrosselt werden. Der Bau von Flüssigerdgas-Terminals, so genannte LNG-Terminals, wurde in Rekordzeit genehmigt. Wenngleich erste Fertigstellungen für den Jahreswechsel 2022/2023 geplant sind, so ist eine breite Betriebsbereitschaft für das Anlaufen von Gas-Tankern in deutsche Häfen erst für das Jahr 2024 vorgesehen. Trotzdem müssen bereits heute Zusagen für künftige Lieferungen auf einem sehr angespannten Weltmarkt zu hohen Preisen verhandelt werden.
All diesen Bemühungen zum Trotz, zumal noch immer bis zu 20 Prozent des jährlichen Gasverbrauchs in Deutschland zur Stromerzeugung genutzt werden, können derzeit weder Politik noch wirtschaftsweise und sachverständige Prognostiker die Möglichkeit einer Gas-Knappheit in Deutschland im Jahr 2023 ausschließen. Für GANÉ gilt daher weiterhin „stay out of trouble“. Der Fokus liegt unverändert auf Unternehmen mit geringer Kapital- und Energieintensität sowie geringem industriellen Charakter.