ChatGPT, der KI-einsetzende Chatbot, antwortete uns kürzlich auf die Frage „Warum wird zwischen Value- und Growth-Aktien unterschieden?“ gleichermaßen schnell und selbstsicher:

„Value- und Growth-Aktien repräsentieren unterschiedliche Anlagestrategien. Value-Investoren suchen nach Aktien, die sie für unterbewertet halten und davon ausgehen, dass der Markt diese Aktien letztendlich zu ihrem fairen Wert korrigieren wird. Growth-Investoren hingegen konzentrieren sich auf Unternehmen, die ein hohes Wachstumspotenzial aufweisen und sind bereit, höhere Bewertungen zu akzeptieren, um von diesem Wachstum zu profitieren“.

Trotz unserer Begeisterung für die neue Technologie, aber auch im Wissen, dass wir von den neuen großen Sprachmodellen keine Wunderdinge erwarten dürfen, möchten wir der von ChatGPT vorgenommen Unterscheidung in Value und Growth widersprechen.

Als eventorientierter Value-Investor, der die GANÉ ist, sind wir wie Warren Buffett davon überzeugt, dass Wachstum ein unabdingbarer Bestandteil der Value-Gleichung ist. Wer möchte schon in ein vermeintlich unterbewertetes Unternehmen investieren, wenn es nicht mehr wächst (sofern er es nicht liquidieren kann)? Man möchte doch in ein unterbewertetes Unternehmen investieren, das über einen profitablen weiteren Wachstumspfad verfügt.

Warum? Der Wert eines Unternehmens entspricht den abgezinsten Bargeldüberschüssen, die über die Lebenszeit des Unternehmens entnommen werden können. Für GANÉ stellt daher der freie Cashflow, also der Bargeldüberschuss nach Abzug von Erhaltungsinvestitionen, die wichtigste Kennzahl bei der Unternehmensanalyse dar; natürlich unter der Nebenbedingung, dass das Management keine Dummheiten mit den Zahlungsmittelüberschüssen macht. Steigen die freien Cashflows in den vorausliegenden Jahren kontinuierlich an, und hierauf legen wir Wert, verbessert sich die Innenfinanzierungkraft des Unternehmens und es kann in seine weitere Wachstumsstrategie investieren und Kapital über Dividenden und Aktienrückkäufe zurückführen. Langfristig wird das Unternehmen damit für Investoren attraktiver – der Aktienkurs sollte im Zeitablauf mit dem gewachsenen Unternehmenswert steigen.

Zum Beispiel wie bei einigen US-amerikanischen Technologieunternehmen. Seit der Großen Finanzkrise sind die Erträge von Alphabet, Apple und Microsoft enorm gewachsen. Nach der Definition von ChatGPT hätten Value-Investoren allerdings genau auf diese herausragenden wachsenden Unternehmen in ihren Portfolios verzichten müssen. Absurd, wenn man sich die positive Entwicklung ihres Values, also die riesigen freien Cashflows und die Kundenrelevanz, die in den letzten 15 Jahren aufgebaut worden ist, vergegenwärtigt. Was dagegen seinerzeit noch als Value-Klassiker galt, zum Beispiel diverse Banken oder die Stahlindustrie, leidet heute an Strukturwandel und Bedeutungsverlust. Das Kurs-Buchwert- und das Kurs-Gewinn-Verhältnis erschien damals zwar attraktiv und deutete eventuell auf eine Unterbewertung hin, doch hat sich Value im Zeitablauf nicht auf- sondern abgebaut, denn: Wachstum war keines mehr vorhanden. Wir orientieren uns deswegen nicht an Kennzahlen, die den Status quo abbilden, sondern richten den Blick auf die Zukunft eines Unternehmens und halten es wie Warren Buffett: „Growth and value investing are joined at the hip.“

Autor:
Marcus Huettinger Kapitalmarktstratege
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