“Zinssätze wirken auf die Bewertung von Assets wie eine Schwerkraft. Wenn die Zinsen gleich Null sind, können die Preise von Vermögenswerten fast unendlich hoch sein. Sind die Zinssätze dagegen extrem hoch, übt das umgekehrt eine enorme Schwerkraftanziehung auf die Preise von Vermögenswerten aus.“

Börsenlegende Warren Buffett wies im Jahr 2016 mit einem seiner berühmten Zitate auf die Bedeutung des Zinsniveaus für die Bewertung von Vermögensgegenständen hin. Die Gravitationskraft, die von steigenden Abzinsungssätzen ausgeht, kann seit dem Jahr 2022 in vielen Segmenten des Kapitalmarkts beobachtet werden. So führten die schnellsten und aggressivsten Zinserhöhungen der jüngeren Geschichte zu einem regelrechten Börsencrash bei unprofitablen Technologieunternehmen, zum Stillstand bei Fusionen und Übernahmen und zu einem Einbruch des Immobilienmarktes.

In ihrer Sitzung am 1. November 2023 beließ die US-Notenbank den Leitzins bei 5,25-5,50 Prozent, und damit auf dem höchsten Niveau seit über zwanzig Jahren. Kurzfristige Zinssenkungen sind unwahrscheinlich. Unternehmen, Staaten und Investoren müssen sich also weiterhin mit ungewohnt hohen Kapitalkosten auseinandersetzen. Wir stellen uns auf die folgenden gravitätischen Auswirkungen ein:

1. Höhere Finanzierungskosten werden zu einem weiteren Anstieg von Unternehmenspleiten führen. Während ein Großteil der US-Unternehmen aus dem S&P 500-Index das niedrige Zinsniveau der vergangenen Jahre clever nutzte, um sich langfristig zu attraktiven Konditionen zu refinanzieren – fast 50 Prozent der ausstehenden Schulden ist erst nach dem Jahr 2030 fällig –, kommt auf viele Zombie-Unternehmen aus dem Hochrisikosegment „High Yield“ ein früherer und prozentual größerer Refinanzierungsbedarf zu. Da Zombie-Unternehmen ihre derzeit noch niedrigen Zinszahlungen nicht einmal aus dem operativen Geschäft heraus vollständig begleichen können, stellen Anschlussfinanzierungen und eine höhere Zinsbelastung schnell eine große, wenn nicht gar unlösbare Herausforderung dar.

2. Höhere Zinsen werden die tatsächliche Leistungsfähigkeit von Management und Geschäftsmodellen schneller und deutlicher zu Tage fördern. Eine aktuelle Studie der US-Zentralbank FED zeigt auf, dass 40 Prozent des realen Wachstums der US-Unternehmensgewinne zwischen den Jahren 1989 und 2019 auf niedrigeren Zinsaufwendungen und gefallenen Unternehmenssteuersätzen beruhen. Dieser Rückenwind ist zwischenzeitlich zu einem Gegenwind geworden.

3. Höhere Zinsen führen zwangsläufig zu einem wachsenden Schuldendienst für Staaten. Die Zeit sinkender Zinsaufwendungen bei steigender Verschuldung ist vorüber. In Deutschland betrugen die Zinsausgaben des Bundes im Jahr 2021 gerade einmal 4 Milliarden Euro. Im Jahr 2023 werden sie nach Schätzung des Bundesfinanzministers auf rund 40 Milliarden Euro anwachsen. Negativ wirken sich neben gestiegenen Zinsen auch Disagio-Verluste bei Anleiheausgaben aus. In den USA werden sich die Zinsaufwendungen in den kommenden sieben Jahren von 2 auf 4 Prozent der Wirtschaftsleistung verdoppeln, so eine Untersuchung der Investmentbank Goldman Sachs. Diese zusätzlichen Ausgaben werden die Finanzierung des US-amerikanischen Staatshaushalts noch schwieriger machen – bereits heute besteht ein jährliches Primärdefizit zwischen Ausgaben und Einnahmen in Höhe von über 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und darin sind die zu zahlenden Zinsen auf die bereits ausgegebenen Schulden noch nicht einmal eingerechnet.

GANÉ beobachtet die Gravitationskraft von hohen Zinsen weiterhin sehr genau. Daher bleiben wir auf Aktien von hochprofitablen Gewinnerunternehmen mit niedriger Verschuldung und auf kurzlaufende Staats- und Unternehmensanleihen mit hoher Bonität und Liquidität fokussiert.

Autor:
Marcus Huettinger Kapitalmarktstratege
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