Die Kapitalmärkte neigen mitunter zu Übertreibungen. So befeuern zum Beispiel aggressiv vermarktete neue Geschäftsmodelle regelmäßig die Fantasie der Börsianer. Wie im Fall von Peloton. Die Hoffnung auf eine Revolution des globalen Fitnessmarktes ließ den Hersteller von Spinning-Fahrrädern in der Corona-Pandemie auf eine atemberaubende Marktkapitalisierung von ca. 50 Milliarden USD steigen – obwohl das Unternehmen noch nie einen Jahresgewinn an der Börse erwirtschaften konnte. Heute ist die Luft wieder raus, der Börsenwert ist um über 95 Prozent auf nur noch gut 1 Milliarde USD gefallen.

Doch nicht nur Aktienkurse können übertreiben. Die Reaktion der Kapitalmärkte auf die Aussagen des obersten US-Währungshüters Jerome Powell zeigten in dieser Woche, dass auch die Erwartungshaltung in Bezug auf künftige Zinssenkungen ein zu euphorisches Niveau erreichen kann. Stolze sieben US-Leitzinssenkungen preiste der Kapitalmarkt zwischenzeitlich für das Jahr 2024 ein, obwohl die amerikanischen Zentralbanker selbst nur von drei Zinsschritten ausgegangen waren.

Was war passiert? Die Normalisierung der globalen Lieferketten und die Abkühlung der Nachfrage nach Konsumgütern hat die viel beachtete PCE-Kerninflation schneller als erwartet von über 5,5 Prozent auf unter 3 Prozent fallen lassen. Als Powell im Dezember 2023 eine Zinswende noch vor Erreichung des 2-Prozent-Ziels der Zentralbank in Aussicht stellte (er sprach von „lange vorher“), schienen für viele Marktteilnehmer erste Zinssenkungen unmittelbar bevorzustehen. Der Hinweis auf eine datenabhängige „vorsichtige Vorgehensweise“ der Währungshüter trat offenbar weit in den Hintergrund. In seiner Pressekonferenz am 31. Januar 2024 stellte Jerome Powell nun klar, dass die Währungshüter mehr Vertrauen in die Nachhaltigkeit des Inflationsrückgangs gewinnen möchten und dass ein Zinsschritt im März nicht „der wahrscheinlichste Fall“ sei. Die Kapitalmärkte reagierten daraufhin erschrocken, schließlich war eine März-Zinssenkung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent eingepreist worden.

GANÉ geht aufgrund der anhaltenden Abkühlung der Preisentwicklung ebenfalls von einer Zinswende in diesem Jahr aus. Allerdings spricht die anhaltende Stärke des Arbeitsmarktes und die langsame Normalisierung der prozentualen Lohnanstiege weiterhin dafür, dass eine exakte Prognose über Anzahl, Höhe und Zeitpunkt von Zinssenkungen nicht seriös möglich ist. Wesentlich entscheidender ist für uns, dass trotz der wahrscheinlich bevorstehenden Zinswende sowohl Staaten als auch Unternehmen weiterhin deutlich höhere Finanzierungskosten als zu Zeiten des Nullzinsumfelds zu bewältigen haben. Wir lassen uns daher auch weiterhin nicht von kurzfristigen Übertreibungen oder zu euphorischen Zinsfantasien anstecken und bleiben stattdessen auf Aktien von hochprofitablen Gewinnerunternehmen mit niedriger Verschuldung und auf kurzlaufende Staats- und Unternehmensanleihen mit hoher Bonität und Liquidität fokussiert.

Autor:
Marcus Huettinger Kapitalmarktstratege
Drucken:
Schließen