Seit der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 hat sich die Erwartungshaltung des Kapitalmarkts gegenüber Zentralbanken und Regierungen grundlegend verändert. Vor dem Zusammenbruch der Investmentbank Bear Stearns glaubten Investoren an die Selbstheilungskräfte freier Märkte. Die Europäische Zentralbank sollte unter Einhaltung des Maastrichter Vertrags ausschließlich auf Preisstabilität und die FED in den USA entsprechend ihres Doppelmandats sowohl auf Preisstabilität als auch auf Vollbeschäftigung achten. Ein Eingriff der Politik in das freie Marktgefüge war mitunter verpönt, hatte der Staat doch den Ruf eines schlechten Investors. Zyklen im steten Wechsel von Aufschwung und Rezession betrachtete man als gesunde Normalität. Schließlich sorgte ein Wirtschaftsabschwung dafür, dass schwache Unternehmen aus dem Markt gedrängt wurden und Neues entstehen konnte. Ganz im Sinne einer verbesserten Effizienz.

Das Platzen der Immobilienblase im Jahr 2008 markierte allerdings einen Wendepunkt, der die Denkweise vieler Marktteilnehmer veränderte. Nur durch das beherzte Eingreifen von Politik und Währungshütern konnte ein Kollaps des Finanzsystems verhindert werden. Kapitaleinschüsse und Verstaatlichungen zahlreicher Kreditinstitute sowie Zinssenkungen und umfangreiche Konjunkturprogramme standen auf der Agenda. Die Eurokrise ab dem Jahr 2010 sorgte dann erneut für konzertierte Hilfsmaßnahmen. Der europäische Stabilitätsmechanismus ESM wurde aus der Taufe gehoben und mit ihm ein ganzer Strauß an Instrumenten, um die finanzielle Stabilität der Eurozone zu sichern. Die Vergabe von Darlehen und Krediten an Staaten und Finanzinstitute und der umfangreiche Kauf von Anleihen durch die EZB waren von nun an „common sense“. Die ungeahnte Ausweitung der Zentralbankbilanzen rund um den Globus führte zu einem Liquiditätsschub, der einen langjährigen Bullenmarkt ermöglichte. Investoren erfreuten sich seit dem Jahr 2009 aber nicht nur an Kurszuwächsen des S&P 500 von zwischenzeitlich über 250 Prozent. Sie gewöhnten sich auch an ein neues Schema: Kurseinbrüche durch Krisen konnten für Käufe von Aktien und Anleihen genutzt werden, da Zentralbanken zur Hilfe eilen, um Schlimmeres zu verhindern. Dieser Eindruck verfestigte sich in der Corona-Krise des Jahres 2020. Ein immenses „Quantitative Easing“ der Zentralbanken wurde durch aggressive fiskalpolitische Hilfsprogramme der Politik unterstützt. Auf die kurze und schärfste Rezession seit dem zweiten Weltkrieg folgte im Anschluss die schnellste Erholung in der Geschichte der Aktienmärkte.

Nun galoppiert die Inflation weltweit aufgrund von Energie-, Rohstoff- und Warenknappheiten und die Zentralbanken müssen gegensteuern. Angesichts der restriktiveren Geldpolitik fragen sich viele Marktteilnehmer: Wer kommt den Märkten nun im Falle einer Rezession zur Hilfe geeilt? Es ist unwahrscheinlich, dass die Zentralbanken in der mittleren Sicht erneut umsteuern werden. China als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft dürfte ebenfalls ausscheiden. Jährliche Wachstumsraten von 10 Prozent und mehr gehören dort der Vergangenheit an. Angesichts der Null-Covid-Strategie und Millionen von Chinesen, die sich derzeit im Lockdown befinden, werden selbst die angepeilten 5,5 Prozent im Jahr 2022 kaum zu halten sein. GANÉ erwartet im Falle einer Rezession unmittelbar keinen „weißen Ritter“ in Gestalt monetärer Hilfsprogramme. Das ist verschmerzbar, denn gesunde Unternehmen mit herausragenden Geschäftsmodellen werden diese nicht benötigen. Deshalb sind wir unverändert auf Gewinner-Unternehmen fokussiert, die mit guten Produkten und Dienstleistungen, Preissetzungsmacht und hohen Rohertragsmargen zuversichtlich in die Zukunft blicken können.

Autor:
Marcus Huettinger Kapitalmarktstratege
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